Herrliche Fahrdynamik, Mensch
und Maschine, grandiose Freiheit. Wenn es nicht darum
geht, um was geht es beim Motorradfahren dann?
Irgendwann in der Steinzeit kam ein Neandertaler auf die
Idee, sich auf den Rücken eines Pferdes zu setzen,
anstatt es zu essen. Der brutale Abzug des Gauls muss so
bestechend gewesen sein, dass der Neandertaler
beschlossen hat, Pferde zum Angasen zu benutzen. Es
steckt eben im Menschen. Alles, was schneller ist als er
zu Fuß, wird genüsslich zur Brust genommen.
Rasen.
Bis zur Besinnungslosigkeit über die
Landstraße brettern. Sich Schräglagen reinziehen, die
entgegenkommende Autofahrer mit offenstehenden Mund und
völlig fertig den nächsten Parkplatz suchen zu lassen.
Warnschilder und Tempolimits großzügig ignorieren,
jeden anderen als Gegner und obendrein noch einen
Heidenspaß haben. Heizen. Blasen. Jagen. Uuaah!
Klar, nicht jeder will und braucht das. Ist ja auch
verboten und gefährlich. Man kann dabei sterben, im
Rollstuhl enden, den Führerschein und viel Geld
verlieren. Und trotzdem ist das gut durchgewärmte
Fahren auf Landstraßen die Essenz des Motorradfahrens.
Du hockst auf dem Eisen, drehst am Gas und es geht
vorwärts. Einfach nur vorwärts. Es tut so gut, wenn
man Beschleunigung nicht am Tacho ablesen muss, sonder
spürt, wie es einem die Augen in Richtung Gehirn zieht,
die Eingeweide gegen das Rückgrat presst und die Arme
längt. Aber es muss gar nicht die
Brachialbeschleunigung Marke "Tritt in die
Nieren" sein. Es reicht, immer wieder in langen
Zügen die Geraden runterzufräsen und zu hoffen, dass
eine Kurve kommt.
Selbst auf einer Drossel-125er ist es äußerst
vergnüglich, das Motörchen arbeiten zu lassen, die
Gänge im richtigen Augenblick reinzutreten und beim
Geschwindigkeitskontrollblick auf die immer zorniger
vorbeifliegenden Büsche zufrieden festzustellen, dass
man an der nächsten Kurve entschlossen in die Eisen muss, wenn es nicht "Hecke" anstatt
"Ecke" heißen soll.
Bremsen ist nicht lästig, sondern auch schön. Wer
liebt es nicht? Zischend fahren die Kolben gegen die
Scheiben, und je nach Untersatz ist die Bremswirkung...
äh, hoffentlich richtig gut. Der Körper wird schwer
und schwerer, der Vorderreifen braust beleidigt am
Asphalt, und wenn es genau bis in die Ecke reicht, war's
gut.
Zeit für ein Geständnis:
Es gab eine Zeit in meinem
Leben - so kurz nach achtzehn - da waren BMWs für mich
das Sinnbild der Trägheit. Ich weiß nicht mal weshalb,
aber ich war der festen Meinung, dass Leute, die BMWs
fahren, schlicht und einfach Angst haben. Ist doch
logisch: Wie kann sich jemand mit gesundem
Menschenverstand ein so kreuzhässliches Ding wie eine K
100 kaufen, wenn er eine GSX-R haben kann? Oder
irgendetwas anderes, das aussieht wie ein Motorrad und
nicht wie ein Küchengerät.
Eines Tages feure ich so recht fidel dem Schwarzwald
hinunter und sehe zu meinem großen Entzücken in der
Ferne eine BMW auf meine Straße einbiegen. Nagelneue K
100 RS, Koffer aus dem BMW-Zubehörprogramm,
Systemhelme, korrekt gekleidete Sozia und am Lenker -
dem Bauchumfang nach zu schließen - ein Herr im besten
Alter. Das klassische Feindbild! Mit einem
Freudenjuchzer gingen bei mir alle Systeme auf Angriff,
ich wollte dem alten Herrn zeigen, was eine Harke ist.
Fünf Minuten später, nachdem ich in diversen Ecken
so knapp wie nur irgend möglich dem Einschlag entgangen
war, musste ich mein Weltbild einer grundlegenden
Revision unterziehen. Der alte Knabe hatte mir derart
lässig die rote Laterne umgehängt, dass ich den
Tränen nahe war. Und das Schlimmste: Er hatte mich
wahrscheinlich nicht einmal bemerkt, während die Dame
auf dem Rücksitz derart gelangweilt wirkte, dass ich
vermuten musste, dass ihr das Geräusch der auf dem
Boden schrappelnden Koffer altbekannt war.
Andere Anekdote.
Ich stehe nach Feierabend am
Streckenabschnitt Pflanzgarten der
Nürburgring-Nordschleife. Den Berg herunter kommt ein
Ducati 916, deren kernig gedrehter Desmo schon im Wald
deutlich zu hören ist, der Fahrer scheint mit Ernst bei
der Sache zu sein. Heftiger Hang Off im Kurvenscheitel
verhilft ihm jedoch auch nicht zum entscheidenden
Speedvorteil gegenüber dem Mittsechziger und seiner
metallic-braunen R 1100 RT, der ihn locker außen nimmt.
Aufrecht sitzend, aus dem Radio weht Swingmusik, der
weiße Bart quillt aus dem Helm. Perfekt.
Was schließen wir aus diesen Ereignissen:
Geschwindigkeit ist Ansichtssache. Geschwindigkeit hat
nur bedingt was mit dem gefahrenen Motorrad zu tun. Der
lockere Fahrer macht Tempo, nicht der gestresste. Der
legt sich nur zielsicher aufs Ohr. Und: Ich will nie
mehr das Genörgel der Gereiften hören. Jungs, Ihr seid
durchschaut! Ihr habt Euch doch mit den Horex, Max und
anderen Trümmern auch ordentlich auf die Ohren gegeben.
Stimmt's? (Reuige Geständnisse bitte an die Redaktion
MO)
Warum aber tun wir es alle, in mehr oder minder
drastischen Ausmaß? Antwort: Es ist schöner als
Fliegen. Egal, ob es der beinharte Raser ist, der
tatsächlich versucht, das Leistungspotential seiner
Fireblade auszureizen, oder ob es sich um den mit
mathematischer Präzision vorgehenden Ideallinienfuchs
handelt, schnell fahren macht glücklich! Und es ist
vermutlich sogar gesund. Was soviel heißt, dass Ihre
Krankenkasse es empfehlen würde. Solange Sie sich nicht
auf die Erde hauen... Aber das ist ein Thema für sich.
Stürzen, darin sind sich die Experten einig, gehört
zum Motorradfahren wie das Erbrechen zum Alkoholgenuss.
Wer nicht bricht, hat entweder enorme Übung oder
einfach nicht alles gegeben. Ein kleiner Sturz ist
besonders für Einsteiger unvermeidlich. Und wer hat
schon aufgehört Fahrrad zu fahren, weil es ihn als Kind
vom Drahtesel gerissen hat? Also Schluss mit dem
Gejammer.
Problematisch wird es erst, wenn die Zahl der Stürze
mit den erfahrenen Kilometern nicht abnimmt. Dann
dürfte das gefahrene Durschnittstempo ziemlich sicher
über der natürlichen Reaktionszeit sowie vor allem dem
IQ des Sturzpiloten liegen.
Es ist aber auch ein heikles Thema. Denn Stürzen
macht, bis auf Ausnahmen, keinen Spaß. Obendrein fällt
es sich mit steigenden Tempo härter. Ein bekannter
deutscher Motorradtester hat mir das vor kurzem mit den
Worten bestätigt: "Wenn du das erste Mal
aufschlägst, spürst du, wie die Knochen brechen. Das
ist ja noch okay. Beim zweiten Mal splittern sie. Das
geht dir schon nahe. Beim dritten Mal spürst du, wie
sich die Splitter ineinander schieben, und ab da ist dir
das Ergebnis egal." Diesen Worten ist nichts
hinzuzufügen.
Wie aber kann man Stürze vermeiden, ohne langsamer
zu werden?
Als erstes zählt einzig und alleine die
Übung. Man kann es nicht oft genug sagen: Je mehr
Motorrad man fährt, umso sicherer wird man.
Motorradfahren funktioniert eben ganz anders als
Autofahren. Während man an das Lenkrad eines Autos
einfach ein Gehirn anschließen müsste, um die Kiste
nach links oder rechts zu steuern, ist beim Motorrad
unbedingt ein komplizierter Körpereinsatz notwendig.
Und der ist Übungssache.
Zweite Regel: Ein Motorrad fährt dahin, wo der
Fahrer hinschaut. Schwarze Katze von rechts? Einfach
erschreckt auf die Mieze starren, und es gibt eine
weniger. Zu schnell am Kurveneingang? Eiserner Blick auf
die Grasnarbe, und es geht garantiert ab in die Büsche.
Im positiven Fall heißt das aber, dass durch
diszipliniertes Entlanghangeln an einer eindeutig ins
Auge gefassten Linie selbst auf Straßen dritter Ordnung
furchterregende Tempi möglich sind. Die Augen dürfen
dabei keineswegs dicht vor dem Motorrad kleben, sondern
müssen der Maschine weit vorauseilen. Der kluge Mensch
lernt hieraus aber auch, dass ein Motorrad dann am
sichersten bewegt wird, wenn man auf jeden Fall sieht,
wohin es geht. Schonungsloses Reinhalten in blinde Ecken
ist etwas für die Rennstrecke oder für Bekloppte.
Dritte Regel: Schräglage. Schnelles Fahren ohne die
psychische Fähigkeit zur Schräglage ist A) nicht
möglich und B) gefährlich. A), weil ein Motorrad mit
zunehmender Geschwindigkeit bei gleichbleibendem
Kurvenradius einfach einen größeren Schräglagenwinkel
braucht. B) ist die Geschichte dazu: Wer hemmungslos in
Ecken brät, die dann zuziehen und sich vor weiterem
Abwinkeln fürchtet, macht blitzartig den Abflug.
Deshalb sollte man ständig an seiner persönlich
möglichen Schräglage feilen, im Ernstfall ist das mehr
wert als jedes ABC, alle ADAC-Mitgliedschaften und
Protektorenkombis zusammen. Also runter mit dem Hobel,
ohnmächtiges Vertrauen in den Griff der Straße kostet
enorme Überwindung, aber die Belohnung ist wundervoll:
Der Horizont verzerrt sich, als habe die Maschine Klauen
und Zähne, hält sie sich am eingeschlagenen Radius
fest, das Blut fließt so wundervoll warm und zäh.
Yippieh.
Wer an seiner Schräglage feilt, beschäftigt sich
über kurz oder lang mit dem Grip seiner Reifen. Dazu
kann nur gesagt werden, dass in den meisten Fällen
nicht der Reifen das Limit setzt, sondern die
Straßenoberfläche. Deshalb gilt die Regel zwei: Guck
dir an, wo du hinbrätst, und das rechtzeitig.
Vierte Regel: Dem Radius der Kurve auf der
Außenlinie so lange folgen, bis man deutlich den
Kurvenausgang sichtet und erst dann nach innen
vollstrecken. Wer in lockerer Racer-Manier die
vermeintliche Ideallinie entlangglüht, kann sich
unversehens vor einer brutal zuziehenden Hundekurve
finden. So hat schon mancher sein Moped im Gegenverkehr
versenkt. Was an der Außenlinie noch wichtiger ist: Nur
so ist der Schädel vor den Kühlern entgegenkommender
LKWs sicher. Vorsicht aber mit der Straßenoberfläche,
denn logischerweise finden sich Rollsplit, Schmodder und
Öl meistens an der Außenbahn.
Und Regel fünf: Hartes Bremsen in Kurven ist
völliger Schwachsinn! Erstens stellen moderne
Niederquerschnittsreifen viele Motorräder auf, sie
vermindern also die mögliche Schräglage, wenn der
Fahrer nicht durch erhöhten Körpereinsatz diesem
Aufstellen entgegenwirkt. Zweitens verkraftet ein
Vorderreifen nur entweder Kurvenführungskraft oder
Bremskraft. Zu tiefes oder gar panisches Hineinbremsen
in Kurven erhöht die Gefahr, aufgrund eines
wegrutschenden Reifens auf die Waffel zu bretzeln. Man
weiß das hinterher nur nicht so genau...
Deshalb ist es ganz wichtig, das korrekte Tempo vor
der Kurve anliegen zu haben und nicht auf gut Glück ins
Leere zu ballern. Auf Sicht fahren! Plötzliche
Überraschungen können in den meist Fällen durch
entschlossenes Drücken gemeistert werden, da die
zunehmende Reibung der Reifen auf der Straße
erstaunlicherweise das überschüssige Tempo
zuverlässig abbaut.
Wer diese Grundregeln testet, wird feststellen, dass
er das Motorrad ganz anders zu sehen beginnt. Es macht
viel mehr Spaß, ist sicherer und als willkommener
Nebeneffekt steigt auch der Schnitt. Alles paletti
jetzt? Halt! Plötzlich ist das Tempo so hoch, dass man
sich um ein Vielfaches mehr konzentrieren muss, denn wer
beim zügigen Aneinandersetzen dieser Regeln plötzlich
eine Masche fallen lässt, der hat schneller große
Löcher in den Strümpfen als ihm lieb ist.
Nun zu einem traurigen und ernsten Thema. Viel
schlimmer als jede Hundekurve, jede Diesellache und
sogar schlimmer als ein verregneter Sommer ist der
Polizist. Es ist der natürliche Feind des
Street-Surfers. Es gibt zwar, das wissen wir, eine Menge
lustiger Typen bei der Polizei, solche, die sich nach
Feierabend auf ihre ZRX werfen um sich den Stress vom
Hals zu blasen, aber im großen und ganzen versteht der
Polizist keinen Spaß. Das darf er auch nicht, denn
sobald er lacht oder gar ein Auge zudrückt, wird er
entlassen. Andere Leute zu nerven, das ist sein Job. Er
kann nichts dafür, deshalb muss man ihm auch nicht
böse sein, sondern eher Mitleid haben. Früher haben
Polizisten Verbrecher verhaftet, heute müssen
Polizisten Temposünder erwischen.
Unseren klugen Lesern stellen sich vermutlich
folgende Fragen: Warum gibt es ein Tempolimit? Sind
Tempolimits notwendig? Wenn ich temposündige, bin ich
dann ein schlechter Mensch? Was raten mir die Experten?
Die Antworten auf all diese Fragen beginnen mit dem
durchschnittlichen Verkehrsteilnehmer. Der
durchschnittliche Verkehrsteilnehmer ist Autofahrer. Der
durchschnittliche Autofahrer hat zwar vom Tuten, aber
keineswegs vom Blasen Ahnung.
Fahrzustände, die von einer gleichförmigen,
einheitlich normierten Fortbewegung abweichen,
erschrecken ihn zutiefst. Er ist aber auch gar nicht in
der Lage, solche Fahrzustände herbeizuführen, denn er
steht meistens im Stau. Steht er nicht im Stau, sitzt er
aber immer noch im Auto, und dieses Gefährt ist halt
rein konstruktiv nicht in der Lage, aus eigener Kraft
ungleichförmige Fahrzustände anzunehmen. Der Staat
wiederum liebt seine Autofahrer und tut alles, um die
normierte Fortbewegung zu unterstützen und
gleichförmiger zu machen. Deshalb gibt es immer mehr
autotaugliche, gerade, breite und
ergrottenscheißlangweilige Straßen. An Stellen, wo der
Straßenverlauf noch der Topographie folgt, was sehr
spannend sein kann, werden dann eben Tempolimits
errichtet.
Langer Rede, kurzer Sinn:
Die meisten Tempolimits auf
offenen Landstraßen sind rein sicherheitstechnisch
ungefähr so notwendig wie Atombomben im Irak. Sie sind
kein schlechter Mensch, wenn Sie sich nicht an diese
Limits halten, sondern nur ein illegaler Mensch. Selbst
religiöse Menschen sollten prinzipiell kein schlechtes
Gewissen haben, denn der einzige, der alles sieht, hat
ja keine Tempolimits errichtet. Die Polizei arbeitet
zwar daran, alles zu sehen, aber solange sie es noch
nicht geschafft hat, wird es durchaus unbeobachtete
Momente geben, die man ausnutzen könnte...
Tun Sie also, was Sie wollen, und vergessen Sie nie:
Nur ein lebendiger und gesunder Mensch kann ein guter
Motorradfahrer sein. Andernfalls ist er entweder eine
Leiche oder ein Krüppel. Die Auswahl ist da leider sehr
begrenzt...
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