Fahrtechnik - Fahren in Gruppen und Handsignale

Viele Leute finden es prima in einer Gruppe zu fahren, während andere es vollkommen ablehnen. Tatsächlich kann Motorradfahren mit anderen eine wunderbares Erlebnis sein und zu neuen Freundschaften führen. Andererseits kann es auch Freundschaften beeinträchtigen, da es dabei zu komplexen sozialen Handlungen kommt. Wenn man alleine fährt, muss man nur mit sich selbst klarkommen: Man sieht besser, darf so hart bremsen und Gas geben, wie man will oder kann.
In einer Gruppe hingegen hat man sich auf alle anderen einzustellen, die genauso plötzlich ihren Fahrstil verändern können. Man verliert daher einen Teil der Freiheit, die das Motorradfahren sonst bietet.
Fahren in Gruppen erfordert hohe Konzentration, viel Disziplin und kann sehr ermüdend sein. Daher ist es falsch, sich in einer Gruppe sicherer zu fühlen. Gefahr droht durch Nachlassen der Konzentration. 
Wenn dann der Abstand zum Vordermann zu gering ist und dieser beispielsweise plötzlich anhält, um zu tanken, kommt es leicht zur Kollision. Häufig wechselnde Geschwindigkeiten sind eine weitere Gefahr für die Stabilität der Gruppe, denn der Nachfolgende neigt dazu härter zu bremsen, wenn er Bremslichter sieht. Mit dem Effekt, dass der Letzte beinahe eine Vollbremsung hinlegen muss. Das Gleiche gilt übrigens auch für unvermittelte Beschleunigung.
Ungeduldige Verkehrsteilnehmer, die die Gruppe überholen und sich dazwischen drängen, bringen zusätzliche Schwierigkeiten. Beim Fahren in Gruppen sollte man also nicht erwarten, dass andere schon aufpassen. Jeder bleibt für seine eigene Sicherheit verantwortlich. Hier ein paar gute Tipps, die das gemeinsame Biken zu einem schönen und sicheren Erlebnis machen:

Der Ziehharmonika-Effekt
In großen Gruppen ist es für den Letzten häufig schwierig, der Gruppe zu folgen - auch wenn der Erste nach eigener Einschätzung gemächlich fährt. Das liegt am so genannten Ziehharmonika-Effekt. Bei 20 Motorrädern kann die Geschwindigkeitsdifferenz mehr als 20 km/h betragen. Schleicht der Erste mit etwa 40 km/h, so stehen beim Letzten oft 60 - 70 km/h auf der Uhr. Bei höheren Geschwindigkeiten werden die Differenzen sogar noch größer!
Den Effekt kann man vermeiden, wenn alle Gruppenmitglieder den gleichen Abstand einhalten, doch mit nachlassender Konzentration und vielen Geschwindigkeitsänderungen wird der Effekt wieder größer. Die optimale Gruppengröße ergibt sich daher mit etwa 6 Motorrädern. Sind es mehr, verliert man sich leichter und sollte generell langsamer fahren.

Rücksicht und Rückblick
Der häufige Blick in den Rückspiegel ist ein Muss: Was macht der Folgende? Hat er die Abzweigung erkannt? Hält er plötzlich an?
Wenn du im Rückspiegel das Gesicht deines Nachfolgers gerade erkennen kannst, weißt du, dass der Abstand richtig ist und dass er dich auch noch sieht. Jedes Gruppenmitglied ist immer für den jeweils Folgenden verantwortlich. Verliert er ihn, muss er sich zurück fallen lassen und anhalten, falls erforderlich. Wenn alle dies beherzigen, setzt sich die Aktion bis zum Ersten fort und verhindert, dass die Gruppe auseinander reißt. Für alle Folgenden gilt: Hast du die Gruppe verloren, bleibe auf dem ausgemachten Weg, bis die Gruppe wieder beisammen ist.
   

Sicherheitsabstand und Warnungen
Halte stets einen ausreichenden Sicherheitsabstand zum Vorausfahrenden ein. Sollte vorne etwas passieren, hast du immer noch Zeit, zu reagieren. Nach der nächsten Kurve könnte ein Hindernis die Straße versperren und dann sollte genug Platz zum Bremsen oder Anhalten sein.
Genauso sollte der Abstand auch nicht zu groß werden, damit du Handzeichen des Vorausfahrenden gut erkennen kannst.

Die Backsteinformation
Ein gutes Mittel um eng beieinander zu bleiben und trotzdem einen großen Sicherheitsabstand zu haben, ist die so genannte Backsteinformation. In einigen Ländern (Belgien) ist sie sogar vorgeschrieben.
Das erste Motorrad fährt dabei ganz rechts, das nächste versetzt nach links, das dritte wieder rechts und so weiter. Das gilt für lange Geraden, zum Beispiel auf der Autobahn. In Kurven sollte die Formation aufgelöst werden, so dass jeder einer sicheren  Ideallinie folgen kann. Eine leichte Backsteinformation sollte auch gewählt werden, wenn man zu zweit unterwegs ist, sonst wird der hintere Fahrer vom vorderen verdeckt und vom Gegenverkehr leicht übersehen. Also etwas versetzt von der Mitte fahren. 

   
Grenzen beachten
Bist du in einer Gruppe unterwegs, beachte stets deine Grenzen und die deiner Maschine - egal, was die anderen so treiben. In anderen Worten: Fahre deinen eigenen Rhythmus, lass dich nicht von anderen ziehen und folge ihnen nicht ohne Verstand. Das heißt jedoch nicht, dass du nicht auf andere achten sollst. 
Halte dich an die Gruppengeschwindigkeit, bleibe auf dem Fahrstreifen, auf dem alle fahren und halte an, wenn die Gruppe stoppt. 
Übrigens sollte mindestens einer in der Gruppe die Strecke gut kennen und einen Verbandskasten sowie Werkzeug dabei haben.
Wenn du mit dem Verhalten anderer Fahrer nicht einverstanden bist, verlasse die Gruppe, bevor es Probleme gibt. Dies ist meist der Fall, wenn sich die Mitglieder der Gruppe nicht über die gefahrene Geschwindigkeit einigen können. Die Langsamen fühlen sich gehetzt und überfordert. Die Schnellen langweilen sich. Wenn das nicht klappt, verlasse die Gruppe und fahre deinen eigenen Rhythmus.
Auch wenn Gruppenmitglieder Alkohol getrunken haben, lasse dich nicht beirren: Wenn es nicht anders geht, lasse sie voraus fahren. Oder noch besser: Suche dir die richtigen Leute und eine andere Strecke.

Spurwechsel und Überholen
Wenn die Fahrspur gewechselt werden soll,  wird das Blinksignal zunächst vom ersten zum letzten Motorrad durchgegeben. Dann beginnt der letzte Fahrer mit dem Spurwechsel, danach der Vorausfahrende bis auch der Führende auf der neuen Spur fährt. Das verhindert, dass sich andere Verkehrsteilnehmer in die Gruppe drängen können. 
Beim Überholen kehrt sich das Spiel um. Jetzt wechselt erst der Führende die Fahrspur zum Überholen. Danach folgen die anderen in der normalen Reihenfolge. Nach dem Überholen solltest du schnell wieder einscheren und einen genügend großen Sicherheitsabstand zum überholten Fahrzeug aufbauen, damit das folgende Motorrad sicher überholen kann und Platz zum Einscheren erhält. Also ruhig kräftig Gas geben!
Beim Spurwechsel oder beim Abbiegen an Kreuzungen muss jeder für sich entscheiden, ob dies ohne Gefahr ist. Einfach mit anderen loszufahren ist sehr gefährlich. 
Bei all diesen Manövern sollte stets die Gruppenreihenfolge eingehalten werden, selbst wenn der Fahrer vor dir zögert. Vermeide auch unnötige Spurwechsel, denn das könnte den folgenden Verkehr behindern.

Handsignale
Da man unterwegs meist nicht miteinander reden kann, muss sich die Gruppe durch Handzeichen verständigen. Hier sind die wichtigsten aufgeführt:
   

Motoren starten
Den linken oder rechten Arm nach oben halten und mit dem ausgestreckten Zeigefinger kreisende Bewegungen machen.
   

Beschleunigen

Den linken Arm mehrfach heben mit dem Zeigefinger dabei nach oben deuten. Das bedeutet, dass der Führende schneller fahren möchte.
   
Linkskurve, links abbiegen
Den linken Arm bis in die Horizontale heben und gerade halten.
   

Rechtskurve, rechts abbiegen

Den linken Arm horizontal ausstrecken und den Ellenbogen dabei um 90° abknicken. Niemals den rechten Arm benutzen!
   
Gefahr, links
Den linken Arm etwa 45° nach unten ausstrecken und mit einem Finger auf die Gefahr deuten.
   

Gefahr, rechts 

Das rechte Bein etwa 45° nach unten ausstrecken und auf die Gefahr deuten!
Alternativ kann man auch den linken Arm über den Kopf heben und mit der Hand nach rechts deuten.
   
Abbremsen, langsamer fahren
Den linken Arm etwa 45° nach unten ausstrecken und mit der flachen Hand mehrmals nach unten winken.
   

Anhalten 

Den linken Arm etwa 45° nach unten ausstrecken und die Innenseite der flachen Hand nach hinten richten.
   
Linienformation fahren
Den linken Arm über den Kopf heben und die Finger der flachen Hand nach oben richten.
   

Backsteinformation fahren 

Den linken Arm nach oben heben und die äußeren Finger nach ausstrecken richten. Muss man ein wenig üben, sonst gibt's Knoten!
   
Aufschließen
Den linken Arm heben und die Hand zur Faust ballen. Dann mehrfach eine Ziehbewegung nach unten machen. Damit wird angezeigt, dass die Gruppe zusammen geführt werden soll.
   

Blinker aus

Den linken Arm nach oben oder unten strecken und die Hand mehrfach öffnen und schließen. Damit wird jemandem in der Gruppe signalisiert, dass sein Blinker noch versehentlich gesetzt ist. Dies ist ein Signal meiner Gruppe und hat sich gut bewährt.

Und zu guter Letzt: Der "Stinkefinger"
Den linken Arm unter 90° anwinkeln und den Mittelfinger langsam nach oben strecken. Natürlich sollte das nur in der Gruppe angewendet werden, wenn man sich gut versteht und damit ein Problem oder Streit als abgeschlossen anzeigt. Dies hat dann nicht die provozierende Bedeutung, wie man sie sonst kennt. Daher niemals gegenüber anderen Verkehrsteilnehmern anwenden. Es könnte missverstanden werden.

Hier eine nicht animierte Version der Handzeichen zum Herunterladen und Ausdrucken. Über das Gruppenfahren gibt es auch einen guten Film mit weiteren Informationen auf der amerikanischen Motorcycle Safety Foundation Website.

Dieser Artikel stammt zum größten Teil von der Website www.lcvm.nl des niederländischen Landelijk Coördinatiecentrum Verhoogde Motorrijvaardigheid (Koordinationszentrum für Fahrsicherheitsschulungen). Für die Übersetzung und Veröffentlichung liegt mir die freundliche Genehmigung von Tineke vor.

© Text und Grafiken: LCVM
© Übersetzung und Adaption: Michael (25.02.07 )    [Start]